Das Berggesicht

Hier sieht`s ja aus wie bei den Russen!

Ziemlich aufgeregt, was die nächsten 14 Tage Rollertour für uns so parat halten sollte, starteten wir also am 05.06. von Luodong, an der Ostküste Taiwans. Nachdem wir den Stadttrubel und all die kreuz und quer fahrenden Rollerfahrer hinter uns gelassen hatten, eröffnete sich uns direkt eine wunderschöne Berglandschaft und damit auch der Regen! Wir hatten nun wirklich fast immer Glück und sind dem Regen in 15 Monaten Weltreise entkommen. Da wurde es jetzt auch mal höchste Zeit für eine Regen-Reise. So richtig glücklich waren wir darüber am Anfang nicht. Wer fährt schon gern im Vollregen durch die Berge und dann auch noch mit einem Zweirad!? Besonders ich (Gena) habe noch vor der Reise oft meine Laune vom Wetter beeinflussen lassen, doch in den letzten Monaten durfte ich lernen, dass auch die schlechte Laune das Wetter nicht beeinflussen kann! Viel wichtiger ist es in solchen Momenten, sich in Akzeptanz zu üben und das Beste daraus zu machen. Der Regen gehört zu Taiwan und ist Hauptgrund für seine saftige Grüne und die unglaubliche Pflanzen- und Tiervielfalt. Wir schlüpften also in die Ponchos und genossen die mystische Aussicht im Hochland Taiwans

 

 

Während uns die Natur des Landes direkt von der ersten Sekunde an positiv überwältigte, ließ der Rest ein wenig zu wünschen übrig. Bereits in den Städten haben wir einen sehr alten, teilweise stark heruntergekommenen Baustil wahrgenommen. Mächtige Wohnblocks mit Fliesen an der Fassade, Wellblechhütten, verlassene Geschäfte und Kontainergaragen ließen an die DDR und Russland erinnern (beides haben wir nie erlebt, jedoch ähnelten die Anblicke dem, was wir aus Bildern und Filmen kennen). Es wirkte sehr trist, kühl und in die Jahre gekommen. Immer wieder hatten wir das Gefühl, diese Orte hatten ihre Blüte vor 50 Jahren gehabt und seitdem ist nichts mehr passiert. Anders wie in beispielsweise Thailand oder Vietnam, waren hier kaum Menschen auf den Straßen. Dies könnte am Regen gelegen haben, aber auch in den paar Sonnenstunden, waren die Straßen leer und alles wirkte sehr ernst. Wir sind nun wieder in der ersten Welt angekommen, liegt es etwa daran? 

 

Und plötzlich auf 3.000 Höhenmetern

Am Nachmittag des ersten Rollertags wurde es plötzlich immer kälter und die Wolken schwebten auf den selben Ebenen auf denen auch wir uns während der Fahrt befanden. Wo sind denn die eben noch präsenten 30 Grad und warum liegen die Wolken so tief? Ein Blick auf unser Handy klärte einiges auf. Nicht die Wolken waren tief, sondern wir plötzlich ganz hoch! Wir befanden uns auf einem Bergpass bei 3.000 Höhenmetern! Nun haben wir mit dem Roller wirklich alles erlebt: von Millionenstädten auf Meeresebene, bis hinauf auf 3.000 Höhenmetern!  

 

Im wohl höchsten 7Eleven Taiwans, bei 2.000 Höhenmetern, legten wir einen warmen Halt ein und genossen die aufklarende Aussicht. Anschließend schlüpften wir wieder in die Ponchos und motivierten uns bei 80er/90er Musik für die letzten Kilometer des Tages. 

7Eleven auf 2.000 Höhenmetern

Nach 160km durch Berg und Tal machte uns der Regen so langsam doch ziemlich zu schaffen. Es wurde immer dunkler und die Sicht weniger. Neben Regen machte auch der immer stärker werdende Nebel die Fahrt zunehmend schwerer. Würden wir es noch rechtzeitig zur ersten Unterkunft schaffen, ehe die Nacht über uns hereinbricht?

 

Heizdecke im Sommer?

Ja, wir haben es noch vor kompletter Dunkelheit geschafft und checkten in einem kleinen Berghotel ein. Ein Glück gab es einen Föhn und wir konnten Schuhe und Rucksack trocknen. Unsere Ponchos leisteten zwar gute Arbeit, jedoch war nach über sechs Stunden Dauerregen auch mal Schluss und einiges wurde ziemlich nass. Die warme Dusche, eine heiße Suppe aus dem 7Eleven und die Heizdecke im Hotelbett kamen genau richtig für unsere durchgefrohrenen Körper. Wir mussten beide lachen, als wir uns in die Heizdecke einkuschelten – gestern noch Klimaanlage bei über 30 Grad und heute Heizdecke und Suppe! 

 

Der Sonne-Mond-See

Am nächsten Tag war das Wetter schon wesentlich besser und wir kamen trocken zum nächsten Ziel: dem berühmten Sonne-Mond-See, der seinen Namen aufgrund der Form bekommen hat. Der angebliche sichelförmige Mond sich anlehnend an einer runden Sonne sind jedoch nur aus der Vogelperspektive erkennbar. Was es jedoch von unten zu bestaunen gibt, ist die prunkvolle, taoistische Tempelanlage aus dem  20. Jahrhundert. Von hier aus kann man einen tollen Blick auf den See genießen., aber auch die Anlage zu erkunden, lohnt sich alle Male! Der Eintritt ist, wie in den meisten Tempelanlagen Asiens, kostenfrei. 

Tempelanlage am Sonne-Mond-See

Nachdem wir die Anlage von allen Etagen begutachtet hatten, besuchten wir noch das kleine Örtchen, welches auch direkt am See gelegen ist. Dort gönnten wir uns ein paar typische Leckereien auf dem Streetfoodmarkt und beobachteten die Touristen am Hafen. Hier sahen wir nun auch endlich mal ein paar Menschen aus westlichen Ländern. Wir scheinen also doch nicht die einzigen weißen Menschen hier zu sein! Es hielt sich dennoch in Grenzen und die meiste Zeit unserer Rollerreise blieben wir die einzigen weißen Ausländer. Taiwan scheint wirklich vom Massentourismus noch komplett verschont geblieben zu sein. Das bestätigten auch die neugierigen Blicke und Fragen der Menschen, wenn sie uns sahen.

 

Nachts in der Schule

Die Unterkunftssuche in Taiwan gestaltete sich erstmals seit wir in Asien sind, wieder etwas schwieriger. Es lag weniger daran, dass es an Unterkünften mangelte, sondern viel mehr daran, dass uns die Preise überraschten. In allen von uns bereisten asiatischen Ländern waren wir es mittlerweile gewohnt, ca. 10 bis 15 Euro pro Nacht für uns beide auszugeben. Der starke Euro half uns stets dabei, günstige Unterkünfte zu finden. In Taiwan mussten wir feststellen, dass wir uns an andere Preise gewöhnen müssen. Wir waren nun offiziell spürbar in Nord-Ost-Asien angekommen. Hier fand man kaum ein Zweibettzimmer unter 30 Euro! Um also stets die günstigste Bleibe zu finden, mussten wir in die Recherche etwas mehr Zeit investieren. Doch schließlich wurden wir fündig und buchten ein kleines Zimmer mit geteiltem Bad, unwissend, dass sich dieses in einer Schule befinden würde! 

Nativa International Academy

Als wir am Nachmittag dort ankamen, wurden wir von vielen fragenden Gesichtern begrüßt. “AirBnB?” Keiner wusste so richtig etwas damit anzufangen und wir waren uns ziemlich sicher hier falsch zu sein – unser Zimmer kann doch niemals in einer Schule sein?! All die Fragen sollten sich jedoch schon bald aufklären, als zwei Englischlehrer auf uns zu kamen und wir endlich jemanden hatten, mit dem wir sprechen konnten. Nach einigen Telefonaten stellte sich heraus, dass sich im Schulgebäude wirklich ein AirBnB-Zimmer befindet. Keiner der Lehrer wusste davon, da es wohl noch nie jemand gebucht hatte. Das Zimmer befand sich direkt zwischen Klassenzimmer und Gemeinschaftsbad für die Kinder. Früher wurde dieses Zimmer wohl für Freiwilligenarbeiter hier in der Region genutzt.

Auf diesem Flur befand sich auch unser Zimmer
Das Zimmer war super schön und sauber

Wir haben uns direkt von Anfang an gut mit der Englischlehrerin verstanden und durften daher viel über die Schule erfahren. Es handelt sich hier nämlich um keine gewöhnliche taiwanesische Schule, sondern viel mehr um eine private Ganztagsschule, die von privaten Investoren getragen wird. Man möchte Kindern aus bildungsschwachen Berggebieten hier eine Chance auf ein besseres Leben ermöglichen. Die Kinder bleiben von der 1. bis zur 8. Klasse von Montag bis Freitag auch über Nacht in den Gemeinschaftsunterkünften. Die Zeit ist streng getaktet und es wird großen Wert auf die Förderung der jungen Menschen gelegt. Der Tag beginnt für die Kids bereits um 06:30 Uhr mit dem Aufstehen, anschließend wird im Hof gespielt und ein wenig Sport gemacht. Nach dem gemeinsamen Frühstück beginnt der Unterricht um 07:30Uhr. In den Pausen sind die Kinder für die Gebäudereinigung verantwortlich, Bäder werden geputzt, der Hof gefegt und die Klassenräume aufgeräumt. Um 17:00 Uhr endet der offizielle Schultag, doch noch lange nicht das Programm der Kinder. Es geht nämlich direkt mit Duschen und Abendbrot weiter, gefolgt von einer halbstündigen Smartphone-Zeit, wo die Kinder eigentlich ihre Eltern anrufen sollen, die Priorität jedoch eher bei YouTube, Instagram und Handyspielen liegt. Danach geht es zur christlichen Gebetsstunde. Die meisten der Menschen in Taiwan sind Christen, daher sieht man auch in jedem Ort die ein oder andere Kirche. Nach so einem langen Tag, mag man annehmen, dass es nach der Gebetsstunde um 19:00 Uhr so langsam aber sicher ausreicht mit dem Ganztagesprogramm, doch das ist nicht der Fall! Der letzte Tagespunkt vor dem Schlafengehen um 22:00 Uhr, ist die Hausaufgabenstunde, wo die Kinder in den Klassenzimmer gemeinsam mit den Lehrern die Hausaufgaben erledigen. Halleluja, da hatten wir es in Deutschland noch richtig entspannt, was? 😀

Während wir mit der Englischlehrerin sprachen, klebten die Nasen der Kinder an den Fensterscheiben der Klassenräume. Sie waren richtig aufgeregt, zwei weiße Menschen in ihrer Schule zu sehen. Als der Unterricht vorbei war und wir zum Abendbrot eingeladen wurden, hatten die Kids endlich Gelegenheit, uns aus nächster Nähe zu sehen. Die Neugier war auch auf unserer Seite! Wir kamen kaum zum Essen, so viel wollten die Kinder von uns wissen. Es ist so schön gewesen, die authentische und unversteckte Neugier der Kinder zu spüren. Wir Erwachsenen sind da oft eher zurückhaltend, doch die Kids… die verstecken ihre funkelnden Augen und den staunenden, offenen Mund nicht und genau das macht sie so einzigartig!

Peace! 🙂

Wir hatten wirklich einen tollen Abend zusammen und freuten uns riesig, diesem Schicksal begegnet zu sein. Genau diesen authentischen Einblick in andere Kulturen wünschen wir uns so sehr! Und den bekommt man eben nicht, wenn man ins teure Hotel geht, sondern viel eher, wenn man sich auf solche Unterkünfte einfach mal einlässt. 🙂

Am nächsten Morgen wurden wir in unserem Zimmer vom Schulklingeln geweckt, was diesem Erlebnis nochmal die Krone aufsetzte – wir haben wirklich in einer Schule übernachtet! Leider mussten wir am nächsten Morgen weiterziehen, auch wenn die Lehrer und Schüler uns am liebsten noch dabehalten hätten. Doch vielleicht kommen wir eines Tages ja wieder hier her zurück, wer weiß…

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