Das Abenteuer beginnt
Nachdem wir die quirlige Großstadt hinter uns gelassen hatten, konnte wir alle ein wenig im Bus ruhen. Bis auf Papa, der schaute stets ganz neugierig auf die Straße und vorbeiziehenden Ortschaften. In Sachen Transport, kann sich Deutschland noch so einiges abgucken von den Vietnamesen. Neben den normalen Linienbussen, die es so auch in Deutschland gibt, ist Vietnam besonders für seine Luxusbusse bekannt. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr raus! Jeder hatte seine eigene kleine Schlafkoje mit Licht, Fernseher und sogar verstellbaren Schlafliegen! Nicht nur Mama und Papa waren hin und weg, sowas haben auch wir noch nicht erlebt! So richtig Schlaf konnten wir, trotz bequemen Sitzen, dennoch nicht finden… Bis auf Bruno, blieben wir alle wach.
Um 03:00 Uhr kamen wir im Örtchen Ha Giang, dem Ausgangspunkt des Motorradabenteuers, an. In einem großen Schlafsaal konnten wir uns eine Matte auf dem Boden schnappen und noch ein paar Stunden schlafen. Doch erstmal gingen wir duschen, die Fahrt und auch das Schlendern durch Hanoi verlangte dann doch mehr ab, als gedacht. Bis zu diesem Punkt hatten wir wohl alle ein seltsames Gefühl im Magen über den weiteren Verlauf dieses Abenteuers. Es wirkte alles sehr ungeplant und zusammengeschustert. Hoffentlich sollte sich dies bald ändern…
Die paar Stunden Schlaf taten gut, doch als um 06:45 Uhr der Wecker klingelte, konnte man uns allen die Müdigkeit im Gesicht ablesen. Doch die verflog schnell und wurde von der Aufregung abgelöst, denn direkt nach dem Frühstück ging es auch schon los! Wir lernten Tong, unseren privaten Guide für die nächsten vier Tage, kennen, er zeigte uns an der Landkarte die uns bevorstehende Route und gab uns eine kleine Einweisung. Wir übersetzt von nun an jedes Wort und jede noch so kleine Frage zwischen meinen Eltern und dem erst der Welt. Doch das war kein Problem für uns, schließlich haben wir auf unserer langen Reise gelernt, mit Menschen auf unterschiedlichsten Wegen zu kommunizieren.
Entgegen unseren Erwartungen, gab es keine Automatikroller, wie wir sie bisher in Asien gewohnt waren. Nein, diesmal ging es auf ein richtiges, kleines Motorrad mit Halbautomatik. Selbst Schalten war also angesagt! Sowas sind Bruno und ich noch nie gefahren, denn schließlich haben wir eigentlich keinen Führerschein dafür. Doch das wäre nur in Deutschland ein Problem, hier heißt es: learning by doing! Also testeten Bruno und Papa die Räder und stellten schnell fest, dass es zwar ungewohnt, aber total umgänglich ist. Tong half uns dabei die Schützer an Armen und Beinen zu befestigen und nach einem ersten Gruppenfoto ging es auch schon los!
So richtig optimistisch waren wir jedoch noch nicht… Sollte nun jede Nacht auf einer dünnen Matte auf dem Boden stattfinden? Sollten wir wirklich immer bei Regen fahren, so wie es der Wetterbericht prophezeit hatte? Schafft Mama die Strapazen trotz ihrer Rückenschmerzen? All diese Fragen und Ängste spukten mir im Kopf herum, doch beantworten konnte ich sie zu diesem Zeitpunkt sowieso nicht, also versuchte ich die Fahrt zu genießen, nach vorne zu blicken und mich auf das Positive zu fokussieren: Wir hatten einen wirklich tollen Guide, Tong!
Tong fuhr mit seinem etwas größerem Motorrad vor und drehte sich immer wieder zu uns um, um sicher zu gehen, dass wir auch hinter ihm sind. Den Ort Ha Giang ließen wir ziemlich schnell hinter uns und plötzlich eröffnete sich eine endlose Berglandschaft mit einem Mix aus Dschungel, Kornfeldern und Reisterrassen. Und genau dort führte der Weg entlang! Durch kleine authentische Dörfer, vorbei an den Bauern, die mit ihren Bambushütten aus den Kornfeldern hervorlugten, und hinauf auf die gigantischen Berge.
Als wir die ersten sehr steilen Serpentinen super meisterten, machten wir eine Pause und gönnten uns heißen Cafè und frische Smoothies bei Sonnenschein und toller Aussicht auf die Berghänge. In diesem Moment hätte ich mich wohl selbst kneifen müssen, um so richtig zu realisieren, dass Mama und Papa all dies nun mit uns erleben können. Es ist nicht die Aussicht, die mir Tränen in die Augen schießen ließ, sondern die Tatsache, dass meine Eltern hier sind. Sie sind einfach hier, bei Bruno und mir, nach so langer Zeit haben wir uns endlich wieder und ich kann ihnen unsere wundervolle Welt zeigen… Naja, zumindest ein sehr schickes Plätzchen davon.
Das Leben in den Bergen
Während der Motorradtour legten wir einige schöne Pausen ein, in denen wir in kleinen Cafés direkt am Abhang die Aussicht genossen, oder auf Aussichtstürme hinaufliefen, um die malerischen Muster der Reisfelder noch besser wahrzunehmen. Doch nicht nur von hoch oben durften wir die Landschaft und Gegend erkunden, sondern auch von ganz unten. Als wir gerade in ein kleines Dorf rein rollerten, zeigte uns Tong Jahrhunderte alte Lehmhäuser. Die Menschen verstanden sich schon damals darauf, mit den Witterungsbedingungen der Gegend klarzukommen. Der Lehm schützte die Menschen vor der heißen Sonne und im Winter konnte die Wärme des Lagerfeuers im Inneren des Raumes nicht entfliehen. Teilweise leben die Menschen auf dem Land noch heute in Lehmhäusern und genau diese Häuser durften wir uns anschauen.
Nach einem reichhaltigem Mittagessen, führte uns der Weg weiter durch die Berge und über den ein oder anderen Bergpass. Immer wieder passierten wir kleine Stopps, wo andere Motorradgruppen bei kühlen Getränken Karaoke sangen oder in der Hängematte die Aussicht genossen. Auch ein kleiner Regenschauer, konnte uns die gute Laune nicht verderben und so gelang es uns, den Regen schon nach wenigen Minuten wieder zu vergraulen!
Besonders in Erinnerung geblieben ist uns ein kleines Dörfchen am Fluss, wo wir erlebten durften, wie die Frauen des Dorfes den selbst angebauten Lein zu Kleidungsstücken, Schmuck und Taschen verarbeiteten. Die Damen stammen aus dem Mong Volk, eines von über 50 indigenen Völkern, die hier in Vietnam zu Hause sind. Da unser Guide Tong ebenfalls aus dem Mong Volk stammt, konnte er mit den Damen kommunizieren und für uns übersetzen. Denn nur weniger dieser Völker sprechen die vietnamesische Sprache. Sie antworteten uns mit einer, im Gedächtnis bleibenden, emotionalen Ausstrahlung, dass ich ihnen durchweg zuhörte, auch wenn ich kein einziges Wort verstand. Erst als Tong übersetzte, erfuhren wir, wie die einzelnen Schritte der Leinverarbeitung ablaufen und wie viele Jahre die Frauen diese Arbeit schon ausüben. Diese Damen zum Beispiel ist stolze 95 Jahre alt und übt ihre Tätigkeit seit dem 15. Lebensjahr aus. Trotz unbehandeltem Rheuma und sogar ohne Brille, übt sie diese filigrane Tätigkeit aus.
Hier durften wir ihr dabei zuschauen, wie sie mit heißem, flüssigen Bienenwachs die Leinstoffe mit Mustern versehen hat. Seit 80 Jahren atmet sie den Rauch, der durch das Feuer, welches den Wachs schmelzen lässt, entsteht, ein. 80 Jahre! Und sie braucht noch immer keine Brille bei der filigranen Verziehrung des Bienenwachses. Könnt ihr euch das vorstellen? Wir waren sprachlos und dankbar für diesen authentischen Einblick in das Leben der Menschen auf den Dörfern Nordvietnams. Wir bedankten uns bei den Damen, kauften noch ein paar kleine Andenken und dann ging die Fahrt, immer Richtung Norden, weiter. Wir hatten wunderschönes Wetter und genug Zeit immer mal wieder einen Stopp einzulegen, um die Aussicht zu genießen oder Tong bei seinen musikalischen Einlagen zu zuhören.
Bruno ließ auch mal die Drohne starten, so konnten wir die Reisterrassen von ganz oben sehen. Wie das ausschaut, seht ihr hier! 🙂
Hoch oben auf einen der Berge angekommen, hatten wir den ersten Tag und damit auch die ersten 100km des Ha Giang Loops geschafft. Und darauf wurde beim Abendbrot auch direkt mit vietnamesischem Reis-Vodka angestoßen. Dafür, dass wir alle keinen Schnaps mögen, war die Flasche dann doch ziemlich schnell leer – Tong gab sich große Mühe, unsere Gläser nie leer zu lassen. Mama und ich gönnten uns noch eine Massage und anschließend fielen wir hundemüde in unsere Bungalows mit Blick auf die Bergkette und wunderschönen Reisfelder.
Und weil es so schön war, hat Bruno noch ein kleines Video gebastelt, indem ihr euch life und in Farbe davon überzeugen könnt, wie einzigartig der Norden Vietnams ist. Film ab!
Toll