Die Taten der Roten Khmer

Angekommen in der Hauptstadt

Nach einer knapp sechs stündigen Fahrt, erreichten wir die ersten Gebäude der Hauptstadt Kambodschas, Phnom Penh. Die mit etwa 2,8 Millionen Einwohnern größte Stadt Kambodschas wirkte recht surreal im Vergleich zum Rest des Landes. Riesige Hochhäuser an nahezu allen Ecken und dazwischen eine Mischung aus französischen Kollonialbauten und diahingeschusterten, asiatischen Gebäuden. Als ob dieses optische Tohuwabohu nicht schon interessant genug wäre, schlichen sich in das Getümmel der Stadt noch weitere Besonderheiten ein. So gab es ganze Straßenabschnitte, in denen Geschäfte, Autoteile verkauften. Aber nicht, das ein einzelner Laden alles an einem Auto verkaufte, nein! In einem Laden gab es nur Reifen, in wieder einem anderen gab es ausschließlich Motoren aller Art und in einem weiteren gab es nur Achsen in jeder nur erdenklichen Größe und Form. Ein interessanter Anblick, der jedoch noch verstärkt wurde mit dem allgegenwärtigem Kontrast, der diese Stadt für uns einmalig machte. Auf der einen Seite befinden sich nun also die schmierigen und schmutzigen Autowerkstätten mit allerlei Auswahl an Altmetall und auf der anderen Seite fuhren auffallend viele Luxusmodelle auf vier Reifen quer durch die Stadt. Ob Lamborghini, Aston Martin, Sonderbaureihen von AMG Mercedes-Modellen, oder Ford Mustang Shelbys. Alle samt waren sie immer wieder an jeder Ecke zu sehen. Am häufigsten fand man jedoch bei all diesen Edelmarken die Inschrift Rolls Royce auffunkeln. Es war schon ein seltsamer Anblick, inmitten eines so armen Landes.

 

Vor nicht einmal 50 Jahren

Nun kommen wir zum Hauptteil dieses Beitrags, und wir möchten euch vor dem Lesen warnen! Es sind emotional tiefgreifende Geschichten die unter die Haut gehen und zum Teil sehr verstörend sein können. Wer als für solche Erzählungen nicht wirklich bereit ist, der sollte diesen Beitrag lieber an einem anderen Tag lesen. Für alle, die emotional gefasst sind, denen berichten wir nun aus einer nicht all zu fernen Zeit.

Am 17. April 1975 wurde Phnom Penh von den Roten Khmer eingenommen und das „Demokratische Kampuchea“ ausgerufen. Die meisten Einwohner der Stadt freuten sich über das Ende der Kämpfe und begrüßten die einmarschierenden Truppen jubelnd. Ein großer Teil der Kämpfer bestand aus Kindersoldaten, die zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als ein Leben als Soldat kannten. Die Stimmungslage kippte schnell, als Anführer Pol Pot und die Roten Khmer mit der Errichtung eines Terrorregimes begannen. Der 4. April 1976 sollte in die Geschichtsbücher, als Startschuss einer nahezu apokalyptischen Säuberung der eigenen Bevölkerung, eingehen. Die sofortige Deportation der Stadtbevölkerung auf die Reisfelder des Landes verwandelte das zuvor über zwei Millionen Einwohner zählende Phnom Penh binnen weniger Tage in eine Geisterstadt, ebenso wurden die Provinzhauptstädte entvölkert. Auf diesem „langen Marsch“, der bis zu einem Monat andauerte, starben tausende Menschen, insbesondere Ältere und Kinder, aufgrund der Strapazen. In den ersten Monaten dieser revolutionären Ära verwandelte sich das Land in ein gigantisches Arbeits- und Gefangenenlager. Tagesarbeitszeiten von zwölf Stunden oder mehr waren keine Seltenheit, und jeder Schritt der Arbeiter wurde so überwacht, dass fast alle um ihr Leben fürchten mussten. Wer zu spät zur Arbeit kam, konnte wegen des Verdachts auf Sabotage hingerichtet werden. Sprechen während der Arbeit war verboten! Geld wurde abgeschafft, Bücher wurden verbrannt, Lehrer, Händler und beinahe die gesamte intellektuelle Elite des Landes wurden ermordet, um den Agrarkommunismus, wie er Pol Pot vorschwebte, zu verwirklichen. Industrie- und Dienstleistungsbetriebe, Banken, Krankenhäuser und Schulen wurden sofort geschlossen.

Pol Pots Ziel war es, das Bauerntum zu stärken und alles Städtische zerstören zu wollen, denn für ihn stand das Bauerntum an der Spitze des sozialen Gefüges. Jeder sollte also zu einem Bauern ,,umfunktioniert” werden. In Fachkreisen wird dies auch als eine Art “Steinzeitkommunismus” gewertet. Dabei war es egal ob man ausreichend Kenntnisse dafür hatte oder nicht. Wer sich also nicht zu helfen wusste, wie die tausenden Stadtmenschen, deren Lebensinhalt in vielerlei Hinschicht ein ganz anderer war, verhungerten qualvoll, ohne jede faire Chance. Familien wurden zerrissen und in alle Himmelsrichtungen verstreut. Eine Wiederstandsgruppierung gegen das Regime sollte somit verhindert werden. In Kombination mit den strikten Regeln, die bei Nichteinhaltung fast immer zum Tode führten, gab es nahezu keinerlei Hoffnung für vielen Menschen.

Doch das Schlimmste stand der Bevölkerung Kambodschas noch bevor! Denn gleichzeitig wurden sogenannte Massensäuberungen vorgenommen. Wer im Verdacht stand, mit Ausländern zusammen zu arbeiten, wurde samt Ehegatten und Kindern ermordet. Ganze Blutlinien wurden auf brutalste Art und Weise ausgelöscht. Einfach so und ohne triftigen Grund. Vielleicht sah man durch seine Brille einfach nur zu klug aus, das reichte den Soldaten der Roten Khmer aus, um ganze Familien für immer aus der Geschichte zu löschen. Während der vierjährigen Schreckensherrschaft wurden schätzungsweise drei Millionen Menschen in Todeslagern umgebracht, oder sie kamen bei der Zwangsarbeit auf den Reisfeldern ums Leben. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwa sieben Millionen. Also in etwa ein Drittel der gesamten Bevölkerung! Stellt euch also nun vor, das vergleichsweise 27 Millionen Menschen in Deutschland binnen drei Jahren hingerichtet werden würden, nur weil man vielleicht zu klug aussah…

Im berüchtigten „Sicherheitsgefängnis 21“ in Phnom Penh, das unter der Leitung des unter seinem Pseudonym „Duch“ bekannten Kaing Guek Eav stand, überlebten acht von insgesamt 12.000 Gefangenen. Wer dort nicht an der Folter starb, wurde auf den Killing Fields (dt. Tötungsfeld) vor den Toren der Stadt umgebracht.

die sieben Überlebenden, der achte wurde nicht fotografiert, da er im Gefängnis sitzt

Genau in dieser heutigen Gedenkstätte, etwas außerhalb der Stadt, befinden wir uns gerade und teilen nun unsere tiefsten Gefühle in diesen Momenten mit euch.

Nach einer kurzen TukTuk-Fahrt auf dem Weg zum Killing Field wurden wir von unserem Fahrer noch etwas zu den uns bevorstehenden Erlebnis vorbereitet. Wie so ziemlich jeder im Land, hat auch er in der damaligen Massensäuberung seinen Vater verloren. Er war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sieben Jahre alt, heute ist er zweiundfünfzig und trotz seiner heiteren Erscheinung, hat auch er noch mit tiefen Traumatas zu kämpfen. Während der Fahrt sensibilisierte er uns etwas und wünschte uns dann einen erkenntnisreichen Besuch auf dem ehemaligen Killing Field Choeung Ek. Der Eingang wird durch ein schweres Eisentor markiert. Direkt im Anschluss bekommt man ein Audiogerät ausgehändigt, in dem alle Informationen jederzeit in vielen Sprachen vorhanden sind. Schon nach der ersten Informationswiedergabe machte sich ein sehr unwohles Gefühl in der Magengegend breit. Wir erfuhren, dass Menschen zu Hunderten mit dem Lastwagen antransportiert wurden. Wer nicht am selben Tag hingerichtet werden konnte, musste in einem dunklen, stickigen, stark geräuschisolierten Holzschuppen ,,gelagert” die Nacht ausharren. Die Hinrichtungen fanden in Grubennähe statt, sodass die toten oder halbtoten Körper und Körperteile im Anschluss in den vor Leichen fast überquellenden Gräben, mühelos hinein gestoßen werden konnten.

eines der Massengräber, heute ist es überdacht

Bei den Tötungsgegenständen handelte es sich jedoch nicht um Gewähre, denn Munition war viel zu teuer und wertvoll um sie zu ,,verschwenden”. Nein, vielmehr waren es Alltagsgegenstände, wie Hämmer, kleine Sicheln, Bambusstöcke, Macheten oder teils improvisierte Gegenstände.

Die Mordwaffen, hier nur auf einem Bild, später haben wir echte Exemplare zu sehen bekommen.

Um den Gestank, der sich in den Gräben türmenden Leichen, zu überdecken, versprühte man weitreichend eine Chemikalie. Das muss man sich mal vorstellen! Nahezu ahnungslose Kinder- oder Jungsoldaten mussten, mit mittelalterlichen Methoden und ohne jegliche Ausbildung, mehrere hundert Menschen pro Tag umbringen, um ihr eigenes Leben zu schützen. Jedes einzelne Opfer ist unschuldig. Man teilte den Leuten vor der Transportfahrt noch mit, dass es für sie lediglich in ein besseres Dorf mit Unterkünften gehen sollte. Man machte ihnen sogar noch falsche Hoffnung… Als wir dann an einem der vielen Massengräber vorbei kamen, füllten sich unsere Mägen mit Steinen, denn genau so fühlte sich unser Innerstes in diesem Moment an. Das Mitgefühl und das Unverständnis bei dem, was hier vor nicht einmal fünfzig Jahren passierte, packte unsere Körper und ließ sie nicht mehr los. Noch heute kann es passieren, dass Knochensplitter, Zähne oder Textilrückstände nach starken Regenfällen zum Vorschein kommen. Der Audioguide führte uns dann zum emotional wahrscheinlich verstörendsten Punkt des Geländes. Er befindet sich nahezu in der Mitte der Anlage und ist heute behangen mit Armbändern und Gedenkschnüren. Direkt angrenzend steht ein Baum, der so genannte Killing Tree (dt. Tötungsbaum).

der Killing Tree

Der Name wurde ihm erst Jahre später verliehen, denn Untersuchungen um diesen besonders makaberen Bereich haben ergeben, dass in dieser Grube ausschließlich Frauen und ihre minderjährigen Kinder und Babys lagen. Fast alle von ihnen nackt. Auffallend bei den ersten Untersuchungen war die Verfärbung der Rinde auf einer Seite des Baumes. Man fand heraus, dass die Soldaten die Kleinkinder und Babys, wohl vor den Augen ihrer Mütter, an den Beinen gepackt hatten und wie eine Axt mit den Köpfen auf die harte Rinde des Baumes eingeschlagen haben. Die Überreste von Kopfsplittern und Hirnmasse an diesem Baum betrug mehr als 70%. Im Anschluss warf man die leblosen Körper einfach in die beistehende Grube. Das alles vor den Augen ihrer Mütter. Es war schnell und kostete nichts. Das waren die Gründe für diese grausamen Taten … Direkt daneben stehend, die Kopfhörer jedes äußere Geräusch abschirmend, überkam uns ein Gefühl von tiefer Trauer. Zu diesem Zeitpunkt hörten wir gerade mit dem Audioguide die Originalaufnahme der Schuldigsprechung von “Duch”, dem Leiter des Lagers, der viele Jahre später vor genau diesem Baum zusammengebrochen ist und seine Taten gestanden hat. Das Leid dieses Landes, muss so unfassbar tiefe Narben hinterlassen haben. Der Abschluss unseres Rundgangs markierte eine Gedenkstupa. In ihr befanden sich in zwölf Reihen übereinander gestapelt, die Gebeine der Opfer von Choeung Ek.  

Nachdem wir unseren Audioguide wieder abgegeben hatten und uns mit tiefster Trauer von diesem Ort verabschiedeten, stiegen wir zurück ins TukTuk, unser Fahrer wartete bereits auf uns. Er fuhr uns zum oben erwähnten “Sicherheitsgefängnis 21”, welches heute ein Museum ist. Dieses Gebäude hatte im Laufe der Jahre vielerlei Aufgaben. Erbaut als Schule, wurde es in eines der berüchtigsten Gefängnisse umgewandelt, die es in Kambodscha je gegeben hat. Ausgestellt, in mühevoller Kleinstarbeit, werden dort Originalaufnahmen der Opfer und ihrer Todeszellen. In einige dieser Zellen kann man noch heute eintreten und ein Gefühl davon bekommen, wie schrecklich die letzten Stunden der Opfer gewesen sein mussten. 

 

Es hat eine Weile gedauert, bis wir unserer Erlebnisse verarbeitet und für euch niederschreiben konnten. Noch immer sitzt ein Stein auf unseren Herzen und das Atmen fällt uns schwerer, wenn wir an die Geschehnisse in Kambodscha von vor nicht einmal 50 Jahren zurückblicken. Genauso schlimm ist, dass auch viele andere Länder Ähnliches erleben mussten oder sogar gerade erleben. Wir wünschen all diese grauenvollen Erlebnisse wirklichen niemanden da draußen und dennoch gibt es sie, dennoch wird es sie vermutlich immer geben. Umso dankbarer sollten wir für das Leben sein, welches wir haben.

Unser Mitgefühl gilt all denen, die gezwungen wurden Täter zu sein, die gezwungen wurden ihre Familien zu verlassen, ihr altes Leben aufzugeben oder sogar ihr Leben zu lassen. 

2 Gedanken zu „Die Taten der Roten Khmer“

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